Hoffnung im Protest
Was von Lützerath bleibt
Einige Tage nach der großen Demonstration um Lützerath saß ich in einer nordrhein-westfälischen Regionalbahn und freute mich darüber, wie dreckig sie war. Tausende Menschen waren nach der Demo mit schlammigen Schuhen in Züge gestiegen und hatten die Spuren ihres Protests so im halben Rheinland verteilt. Auch in Bahnhöfen war der getrocknete Matsch noch auf den Böden zu sehen. Dass so viele die Motivation fanden, an einem sehr ungemütlichen Samstag für eine andere Klimapolitik zu demonstrieren, ist ermutigend. Wer gemeinsam protestiert, hat die Welt noch nicht aufgegeben, allen düsteren Prognosen zum Trotz.
Den Dreck in den Bahnen haben Reinigungskräfte entfernt. Aber der Protest verschwindet nicht. Für die Titelgeschichte habe ich mit Aktivistinnen und Aktivisten in Lützerath darüber gesprochen, was aus ihrer Sicht nachwirken wird. Ich habe 21-Jährige getroffen, die sich die Klimakatastrophe drastisch ausmalen – und dennoch nicht verzweifeln. Was der Verlust von Lützerath für ihre Bewegung bedeutet, lesen Sie ab Seite 12. Auch für die Grünen wird der Kampf im Braunkohlerevier Nachwirkungen haben, schreibt Constantin Wißmann in seinem Kommentar (Seite 10). Die umstrittenen Deals mit RWE kosten sie viel Vertrauen. Und die Partei hat so viel erreicht, dass sie jetzt tief fallen kann.
Wie viele Menschen würden sich wohl gerne in Klimabewegungen einbringen, finden aber nicht die Zeit dafür? Zeitstress ist ein so selbstverständlicher Begleiter geworden, dass wir nicht merken, welche Gefahren er mit sich bringt, sagt Teresa Bücker. Die Demokratie funktioniere nur mit Beteiligung, und dafür brauchten Menschen mehr Zeit. Anne Strotmann hat sie zum Interview getroffen (Seite 44).
Sich Zeit nehmen, um das Zusammenleben in einer Gemeinschaft zu gestalten – dafür muss man nicht, wie Teresa Bücker es beschreibt und wie es manche der Lützerath-Besetzer getan haben, aus dem Hamsterrad aussteigen und sich ganz einer Sache verschreiben. Ein Beispiel dafür, wie demokratische Beteiligung das Klimaprogramm einer Gemeinde beeinflussen kann, ist der »Club of Lilienthal«. Auf Seite 62 lesen Sie mehr darüber.
Zeit zum Lesen wünscht
Judith Bauer
Verlag: Publik-Forum; 64 Seiten
Bestellnummer: 4402