Woher diese Wut?

Woher diese Wut?

Wolfgang Thierse über die Wahlen im Osten und ihre Folgen für die Demokratie

Liebe Leserin, lieber Leser,

als ich in Erfurt studierte, bin ich am Wochenende oft raus auf die Dörfer gefahren. Vor den Feldern blühten die Streuobstwiesen, und in einem alten Fachwerkhaus gab es ein Hofcafé, in dem man wunderbar sitzen und lesen konnte. Nach jedem Besuch klang die Friedlichkeit dieses Ortes in mir nach, und ich dachte, dass die Menschen, die hier leben, sicher glücklich sein müssten. Diese Vorstellung steht im Kontrast zu den - leider wenig überraschenden - Wahlergebnissen in Thüringen und auch Sachsen.

Dass die AfD dort stärkste, in Sachsen zweitstärkste Kraft geworden ist, lenkt den Blick auf eine Realität, die vor allem in ostdeutschen Bundesländern im ländlichen Raum existiert: Viele Wähler und Wählerinnen ließen sich von Wut, Unzufriedenheit und Ängsten leiten, vielleicht, weil sie glauben, dass eine rechtsextreme Partei wie die AfD ihre Lebensumstände verbessern würde. Wolfgang Thierse, der selbst in Thüringen aufwuchs, schreibt in seinem Essay: »Noch nie in Nachkriegsdeutschland haben Rechtsextreme so viel und so gefährliche Macht erhalten«, die Demokratie sei in Gefahr, sagt er. (Seite 12).

Auch anderswo wankt die Demokratie – wie in Israel. Judith Poppe fragt sich: Ist das Land noch zu retten? (Seite 20) Doch es gibt Projekte, die der Kriegshetze und Hass entgegenwirken, wie die Tabeetha School in Jaffa, wo jüdische und palästinensische Kinder Seite an Seite lernen. Selten war das so schwierig wie jetzt – umso mehr zeigt das Projekt, wie wichtig es ist, in Kriegszeiten Frieden zu üben (Seite 24). Islamisten wiederum nutzen den Gaza-Krieg, um ihre eigene Agenda zu vertreten, schreibt unsere Autorin Sineb El Masrar (Seite 30). Sie geht der Frage nach, warum so viele junge Muslime empfänglich für islamistische Narrative sind.

Das Heft wälzt nicht nur politische Krisenthemen: Christina Bartholomé hat ein Porträt über den Kantor Daniel Kempin geschrieben: Als junger Mann fand er zu seiner jüdischen Identität, heute setzt er sich für den interreligiösen Dialog ein (Seite 48).

Eine, trotz allem, ermutigende Lektüre wünscht

Marie Lou Steinig

Verlag: Publik-Forum; 64 Seiten
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