Der Herbst der Grünen

Der Herbst der Grünen

Wie die Partei ihren Kern verlor

Liebe Leserin, lieber Leser,

26. Mai 1993: Da bin ich mit einigen anderen Theologiestudierenden nach Bonn gefahren. Wir haben innerhalb der Bannmeile des alten Bundestages einen Gottesdienst gefeiert. Wir hatten gehofft, so nah an den Entscheidern noch etwas beeinflussen zu können. Aber der Konsens der Parteien stand fest – aus Angst vor einigen Wahlerfolgen der rechtsradikalen Partei der Republikaner und der Zunahme rassistischer Gewalt: Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte wurde so geändert, dass jeder Flüchtling, der aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist, dieses Recht nicht mehr in Anspruch nehmen kann. Unsere einzigen Verbündeten im Parlament waren die PDS und die Grünen. Sie stimmten gegen die Grundgesetzänderung.

Daran musste ich denken, als ich die Titelgeschichte von Heribert Prantl über die Verwandlung der Grünen gelesen habe (Seite 12). Prantl erinnert an die Argumentation der Grünen damals, »dass die Wirtschaftspolitik der entwickelten Länder vom Kolonialismus bis in die Gegenwart für die wirtschaftliche Misere im globalen Süden verantwortlich sei; sie leiteten daraus eine Verantwortung für die Armutsflüchtlinge aus diesen Ländern ab.« Das klingt wie aus einer anderen Zeit und ist doch heute so aktuell wie damals.

Nachdenklich hat mich das Interview gemacht, das mein Kollege Michael Schrom mit der Orthodoxie-Fachfrau Regina Elsner geführt hat (Seite 30). Oft hegen wir die Hoffnung, die Kirchen seien eine Kraft, die Richtung Verständigung und Frieden arbeiten könne. Kundig und differenziert zeigt Elsner, dass das den Kirchen in der Ukraine und Russland nicht gelingt und auch die internationalen kirchlichen Bemühungen eher hilflos sind. Sind Kirchen in Konflikten also eher Teil des Problems als Teil der Lösung?

Außerdem darf ich Sie auf die Rubrik Geist und Sinn hinweisen. Da legt Hans Torwesten einen der Zürauer Aphorismen von Franz Kafka aus (Seite 42): Gibt es etwas Unzerstörbares im Menschen?, fragte sich Kafka. Und ich muss, seit ich das gelesen habe, darüber nachdenken, ob nicht eher Verbindungen mit dem Netz des Lebens uns Bestand geben, als das Vertrauen auf etwas Unzerstörbares in uns.

Was meinen Sie? Wünsche Ihnen eine anregende Lektüre,

Christoph Fleischmann

Verlag: Publik-Forum; 64 Seiten
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