Publik-Forum 24/2025
Endlich Stille
Die Schriftstellerin Iris Wolff über die Welt jenseits des Lärms
Liebe Leserin, lieber Leser,
dieses Videotelefonat hat unsere Volontärin Mathea Willmann überrascht: Als sie mit der Journalistin Ghada Alkurd in Gaza sprach (Seite 6), passte das nicht zu den verheerenden Bildern, die sie im Kopf hatte: Alkurd war freundlich, entspannt, »normal«. Auch in Krieg, Krisen und Katastrophen leben Menschen ihre Leben, ziehen Kinder groß und machen sich die Nägel. Das gehört zu den tröstlichsten Erkenntnissen, die ich als Journalistin aus vielen Begegnungen gewonnen habe. Wenn man in Sicherheit und Wohlstand lebt, kann man es sich schwer vorstellen, aber sehr viele Menschen auf der Welt leben so. Wenn ich selbst erschüttert von ihren Schicksalen war, beschwichtigten sie manchmal: Ach, es geht schon. Und wollten damit sagen: Auch mein Leben ist trotz allem ein Leben.
Das hat auch der Fotograf Maximilian Mann erfahren, als er das Friedensdorf International in Oberhausen besuchte, wo Kinder aus Kriegsgebieten medizinisch versorgt werden. Er hatte mit einem traurigen Ort gerechnet, doch die Lebensfreude der Kinder, die darum baten, fotografiert zu werden, hat ihn bewegt (Seite 44). Auch das Kind in der Krippe, das unter widrigen Umständen zur Welt kam, vor einem Despoten floh und das später Wunder tat, erinnert mich an sie.
Diese Resilienz ist die Wurzel fast aller jüdischen Feiertage, deren Essenz ein schwarzhumoriger Spruch zusammenfasst: »Sie haben versucht, uns zu töten, wir haben überlebt, lasst uns essen.« Er nimmt alles ernst: Die ständige Bedrohung, das Wunder des Überlebens und die Notwendigkeit der Freude. Auch Chanukka ist ein solches Fest: Der Tempel war zerstört, das jüdische Volk von Auslöschung bedroht. Doch das Licht brannte weiter. Wir trauern um die, die beim Feiern dieses Festes am Bondi Beach in Australien in einem antisemitischen Anschlag erschossen wurden. Mich macht wütend, dass Jüdinnen und Juden weltweit bedroht werden und Menschen, die in Sicherheit leben, Antisemitismus kleinreden, rechtfertigen und zu dieser Gewalt beitragen.
Ich wünsche, dass Friede und Stille in unseren Herzen Platz schaffen: füreinander und für alles, was lebt. Nicht nur zu Weihnachten. Neben dem Essay der Schriftstellerin Iris Wolff (Seite 12) finden Sie in dieser Ausgabe viele Anregungen dazu. Publik-Forum erscheint wieder am 16. Januar.
Anne Strotmann
Verlag: Publik-Forum
Bestellnummer: 20044